Snapchat ging anfangs der Ruf voraus, eine Spielerei der Jugend zu sein, eine, die im nächsten Jahr wieder out ist. Dabei unterschätzt der deutsche Markt das Potenzial, das sich hinter dem Messaging-Dienst verbirgt. Speziell für Marketingfachleute bieten sich hier wertvolle Chancen.


Seit 2011 geistert Snapchat in der Social Media-Welt umher und kann mehr als 200 Millionen User aufweisen, die mindestens einmal im Monat aktiv sind. In dem kostenlosen Messaging-Dienst können Fotos oder Videos verschickt werden, die vor dem Verschicken mit verschiedenen Features bearbeitet werden können (z. B. Filter, Emoticons oder Angabe der Uhrzeit). Sogenannte Trophäen können Nutzer sammeln, wenn sie bestimmte „Aufgaben“, wie z. B. ein Foto mit einem bestimmten Filter zu versehen, erledigen.

Der Clou an der ganzen Sache: Die Inhalte sind nur für eine begrenzte Zeit verfügbar. Der Empfänger kann sich das Foto oder Video nur maximal 10 Sekunden ansehen, danach verschwindet der Post (in Snapchat „Snap“ genannt) von seiner Benutzeroberfläche. 400 Millionen Snaps werden jeden Tag verschickt, global gesehen ist Snapchat das derzeit am schnellsten wachsende Soziale Netzwerk.

In Deutschland ist der Trend noch verhaltener, jedoch zeigt ein Blick auf Google Trends, dass hierzulande die Wahrnehmung und das Interesse für das Thema langsam steigen.

Da ist es definitiv an der Zeit, dass deutsche Marken ihre Aufmerksamkeit auf Snapchat legen. Sie fragen sich jetzt vielleicht, wozu Sie auf einer Plattform aktiv sein sollten, deren Inhalte nach nur 10 Sekunden wieder im Nirwana verschwinden…nun, wir liefern in diesem Blogpost einige Anreize.


1. Sich da aufhalten, wo die Zielgruppe ist


Laut der Befragung „Talking Stocks with Teens“ liegt Snapchat unter amerikanischen Jugendlichen auf der Beliebtheitsskala sehr weit oben. Nach Instagram und Twitter liegt das Unternehmen auf Platz drei und somit noch vor Facebook. Im Gegensatz zum letzten Halbjahr äußerten sich 19 Prozent der Befragten, dass sie Snapchat nutzen. Im Frühjahr waren es nur 13 Prozent.

Ein Trend, dem Unternehmen Beachtung schenken sollten, vor allem wenn deren Ansprache auf eine jugendliche Zielgruppe abzielt wie z. B. Fashionmarken. Unternehmen müssen dahin gehen, wo ihr Publikum ist. Es sind verschwendete Zeit und Ressourcen ein Facebook-Profil hingebungsvoll zu pflegen, wenn dort niemand ist, der zuhört.

Dabei sollte man sich nicht unbedingt von reinen Registrierungszahlen blenden lassen. In einem Artikel auf der Seite Medium, der sich Anfang des Jahres viral auf Social Media verbreitete, äußerte sich der 19-jährige Amerikaner Andrew Watts darüber, wie er Social Media nutzt. Dabei ist interessant zu lesen, dass zwar die meisten seines Alters ein Facebook-Profil haben, weil eben jeder dort ist, aber diese kaum aktiv sind. Das heißt, Marken können diese Zielgruppe über Facebook kaum erreichen.


2. Die Konkurrenz schläft noch


Auch wenn sich der globale Trend von Snapchat schon länger abzeichnete, schenken Unternehmen dem Dienst immer noch kaum Beachtung. Während fast jedes, auf Social Media aktive, Unternehmen über einen Facebook-Auftritt verfügt, nutzen gerade 2 Prozent Snapchat.

Für Unternehmen, die sich Snapchat zuwenden wollen, ist das natürlich ein Glücksfall. Die Wahrscheinlichkeit, von der richtigen Zielgruppe auch wahrgenommen zu werden, liegt jetzt natürlich wesentlich höher, bevor alle auf den Zug aufspringen. Sixt zum Beispiel will nicht darauf warten, bis es erste Erfahrungswerte aus externen Quellen gibt, sondern sammelt die Erfahrung lieber selbst und macht sich einen eigenen Eindruck.


3. Idealer Ort zum Experimentieren


Als einen Grund, warum Snapchat attraktiver ist als andere Netzwerke, nennt Andrew Watts, dass die Atmosphäre auf Snapchat lockerer und entspannter ist. Das Publikum ist hier nicht so kritisch. Er muss nicht so schnell gehässige Kommentare befürchten oder sich darüber Sorgen machen, warum das gepostete Foto keine Likes bekommt – es verschwindet ja nach zehn Sekunden, sobald es der Empfänger öffnet.

Darin liegt auch eine große Chance für Marken. Durch die Kurzlebigkeit der Inhalte können sich Fehltritte nicht so schnell verbreiten wie beispielsweise in der sehr öffentlichen Welt von Twitter. Dadurch reduziert sich das Risiko, einen Shitstorm befürchten zu müssen.

Einen Einfluss darauf hat aber auch oben genannte Atmosphäre des Publikums. Das Publikum verurteilt nicht so schnell, sie wollen unterhalten werden. Das müssen Marketingfachleute, die Snapchat ausprobieren, im Hinterkopf behalten, dass reine Werbung hier nicht angebracht ist. Dafür ist Humor durchaus willkommen, wie der Snapchat-Account des LA Art Museums zeigt.

In der Regel haben Snaps eine Lebenszeit von 10 Sekunden nach Öffnen vom Empfänger. Anders sieht es bei Snapchat Stories aus. Mithilfe von Stories können User einzelne Snaps zu einer Geschichte verbinden. Die Follower können dann chronologisch durchscrollen und so auf dem Laufenden bleiben. Die Inhalte stehen genau 24 Stunden zur Verfügung, unabhängig wie oft sie geöffnet werden. Mit dieser Funktion können Unternehmen experimentieren. So könnte eine Agentur einen menschlichen Einblick in den Büroalltag geben, ein Unternehmen für Kosmetik postet Make-Up-Tutorials oder ein Lebensmittelunternehmen veröffentlicht Rezeptinhalte.


4. Real-time Berichterstattung


Snapchat eignet sich hervorragend dafür, Inhalte sofort zu teilen und die Follower in Echtzeit teilhaben zu lassen. Da die Inhalte nur begrenzte Zeit zur Verfügung stehen, können Nutzer so animiert werden, die Plattform immer wieder für neue Inhalte zu checken. Der Fußballverein Borussia Mönchengladbach zum Beispiel veröffentlicht regelmäßig Snaps zu Fußballspielen und tobt sich auch gern mal bei den Verschönerungsfeatures der App aus.


5. Das Publikum animieren


Durch die lockere Atmosphäre können Marken mit einem ganz anderen Ton auf ihr Publikum zugehen und dies ermöglicht ihnen vielfältige Engagement-Möglichkeiten. Ein großer Vorteil ist die Exklusivität der Inhalte. Dies kann von Unternehmen noch verstärkt werden, indem sie bestimmte Inhalte ausschließlich via Snapchat anbieten. Das könnten beispielsweise vorab Informationen und Teaser zu einem neuen Produkt sein oder exklusive Rabattaktionen, wie sie der amerikanische App-Lieferdienst GrubHub anbietet.

Burberry nutzte die Snapchat Stories-Funktion beispielsweise, um den Usern einen exklusiven Einblick hinter die Kulissen der Mario Testino Kampagne zu geben, die im Januar launcht. Die Modemarke postete live Fotos und Videos vom Shooting und lieferte so einen besonderen Blick hinter die Kulissen. Der Leser hatte so das Gefühl, direkt beim Geschehen dabei zu sein. Die Marke schaffte es mit dieser Echtzeit-Werbekampagne, seine neuen Produkte zu präsentieren, ohne beim Gegenüber das Gefühl auszulösen, es wäre Werbung.

Eine andere Herangehensweise wäre eine direkte Interaktion mit dem Publikum anzuregen. Dove startete dazu letztes Jahr eine Kampagne auf Snapchat zum Thema Selbstbewusstsein. Neben selbstverfassten Snaps, die ermutigende Botschaften enthielten, rief die Körperpflegemarke seine Followerschaft dazu auf, ihre eigenen Erfahrungen per Snaps zu teilen.

Einen Schritt weiter gingen die Marken Mondelez und Wet Seal. Beide involvierten Influencer in ihren Snapchat-Auftritt. So konnte Mondelez einen Vine-Influencer für eine Snapchat Story heranziehen und Wet Seal ließ sich seine Snapchat-Followerschaft von einem 16-Jährigen Internetstar aufbauen. Was war das Ergebnis? Die Fashionmarke konnte über 300.000 Follower auf Snapchat gewinnen und gewann den Shorty Award als Best Brand on Snapchat.


Wie sieht die Zukunft für Marken auf Snapchat aus? Wie bei jedem Social Netzwerk, das sich wachsender Beliebtheit erfreut, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Marketers ausgeklügelte Werbestrategien auch für Snapchat entwickeln. Erste Versuche wie von z. B. Burberry gibt es bereits. Snapchat wird dabei weiter auf die Marken zugehen und gleichzeitig Wege finden, wie die Plattform monetarisiert werden kann.

Mit den Live Stories und Discover Channels können sich Marken gegen Geld prominent platzieren lassen und vor kurzem launchte Snapchat Sponsored Lenses, ein Feature mit dem gebrandete Filter den Fotos hinzugefügt werden können. Angekündigt wurde auch Sponsored Geofilters, mit denen Marken speziell ein lokales Publikum ansprechen können.

Auf Snapchat liegt großes Potenzial für die Werbetreibenden. Es besteht allerdings die Gefahr, wenn mit zu offensichtlichen und aufdringlichen Werbemethoden die Nutzerschaft verschreckt wird und Snapchat sich schnell in einen Geist der Vergangenheit verwandelt.