“Es machte mich so wütend, dass ich mich dazu entschloss, darüber eine Doktorarbeit zu schreiben, um es zu verstehen”, sagt Ania Korsunska.
Sie nennt Artikel, die sie auf Facebook sah mit grotesken Titeln wie “Fürze heilen Krebs” oder “Käse verursacht Krebs.”
Ania Korsunska macht derzeit ihren Doktor an der Temple University, aber wird im Sommer 2019 an die Syracuse University Information Science and Technology wechseln.
Sie studiert die Verbreitung von Falschinformationen, vor allem über medizinische Themen und Gesundheitsthemen.
Warum Falschinformationen rund um Gesundheit und Medizin?
“Jeder fokussiert sich auf politische Falschinformationen, aber aus vielen Gründen bin ich daran nicht so interessiert”, erklärt Ania. “Zum einen steckt in meinen Augen hinter politischen Falschinformationen eine böswillige Absicht – Informationen, die täuschen sollen – und die mir das Gefühl geben, alles Vertrauen in die Menschlichkeit zu verlieren. Ich studiere Dinge, von denen ich glaube, dass sie unabsichtlich zu Fehlinformationen werden und bei denen es eine reale Chance gibt, Interventionen zu kreieren, die dabei helfen, dass dies nicht geschieht.”
“In der akademischen Literatur wird zwischen “Desinformation” und “Fehlinformation” unterschieden. “Desinformationen” bedeutet, dass die Informationen absichtlich irreführend sind, aber bei “Fehlinformationen” ist etwas mit der Information passiert, so dass die Inhalte verfälscht sind.”
Ania glaubt an eine strukturelle Vorgehensweise an das Problem. Sie sieht sich den Prozess an, wie die Information von der Originalquelle durch all die verschiedenen Schritte der Medienverteilung und wie und warum es auf diesem Weg manchmal verfälscht wird.
Indem die Punkte in den Strukturen angegangen werden, die zu den meisten Verzerrungen führen, können im Idealfall Handlungen ergriffen und die Verbreitung von Fehlinformationen kann vorgebeugt oder zumindest verringert werden.
Hier ist ein einfaches Beispiel zum Vorgang der Verbreitung:
Ein veröffentlichter akademischer Artikel wird in einer Pressemitteilung häufig zusammengefasst. Diese Pressemitteilung wird dann an die Journalisten verbreitet. Journalisten interpretieren dann die Mitteilung (und vielleicht auch die Abhandlung) und entscheiden sich, ob sie dazu einen Artikel schreiben oder nicht und zu welchem bestimmten Aspekt. Diese Artikel werden dann oft von Bloggern aufgegriffen, die an dem Thema interessiert sind, und sie verfassen dazu Kommentare rund um das Thema, die dann von anderen Personen online via Social Media geteilt werden. Die Geschichte wird dann vielleicht später in andere Sprachen übersetzt und weltweit verbreitet.
Bei jedem Schritt auf diesem Weg besteht die Chance, dass die Informationen gefiltert oder verzerrt werden.
“Die Personen, die die Informationen Schritt für Schritt weiterreichen, haben bestimmte Beschränkungen und Anreize und bei jedem Schritt kann etwas mit der Information passieren, wenn es weitergereicht wird, wie bei der stillen Post und am Ende wird die Information zu etwas Lächerlichem.”
Die Titel, die am Ende von diesem Prozess entstehen, können lustig sehen, wie wir weiter unten in ihrer Fallstudie sehen. Aber Ania weiß, dass diese Vorgänge nicht immer zu lustigen Ergebnissen führen.
“Es kann manchmal lustig sein, wie die “Fürze heilen Krebs”-Geschichte, aber manchmal kann es das Leben von Menschen langfristig beeinflussen. Wenn wir uns ansehen, was derzeit geschieht, zum Beispiel mit der Anti-Impf-Bewegung”, sagt sie. “Es ist der gleicher Prozess, der passiert, die Verzerrung von wissenschaftlichen Forschungen und ich will verstehen, warum. Sobald Sie verstehen warum und Sie legen ein strukturelles Argument vor, können Strukturen geändert werden und wir können versuchen, das zu berichtigen.”
“Fürze heilen Krebs”: Eine Fallstudie
Ania hat gezeigt, wie der Vorgang aussehen kann mit einer Fallstudie rund um einen Artikel der 2014 im Journal of Medicinal Chemistry Communications mit dem Titel “The synthesis and functional evaluation of a mitochondria-targeted hydrogen sulfide donor, (10-oxo-10-(4-(3-thioxo-3H-1,2-dithiol-5-yl) phenoxy)decyl) triphe nylphosphonium bromide (AP39)” veröffentlicht wurde.
Durch die Verbreitung in den Medien wurde über den Artikel letztendlich irrtümlicherweise berichtet, dass Fürze dabei helfen können, Krebs zu heilen.
Ania betont, dass die Studie nichts mit der Heilung von Krebs oder Flatulenzen zu tun hat.
Die Forschung begann mit einer veröffentlichten Abhandlung. Eine Pressemitteilung wurde von der University of Exeter geschrieben und verbreitet. Aber nicht jeder, der die Forschung erfasste, interpretierte sie richtig.
An diesem Punkt wurde die Mainstream-Presse darauf aufmerksam und scheinbar aus dem Nichts wurden Fürze und Krebs der zentrale Kern der Geschichte. Diese Elemente wurden dann von beliebten Medien-Outlets aufgegriffen und die Berichte rund um die Forschung, welche nicht mehr länger das Original repräsentierten, wurden weit verbreitet.
Dieses Diagramm zeigt die Verbreitung des Artikels:
Und Ania sagt, dass sie immer noch Versionen von dieser Geschichte auftauchen sieht, fünf Jahre später. Freunde schicken ihr dann die Links, wenn sie sehen, dass diese geteilt werden.
Neben einige Versuchen die Dinge richtig zu stellen, ist das Ganze ein ziemlich verlorener Fall.
„Jüngste Forschungen haben gezeigt, dass sich Fehlinformationen weit verbreiten und Berichtigungen hinterherhinken, aber nie aufholen können. Nutzer verbreiten nie Berichtigungen – sie verbreiten sich nie so weit wie die ursprüngliche Geschichte“, sagt Ania.
Strukturen und Einzelpersonen
“Da ist etwas zwischen dem akademischen Netzwerk und dem Netzwerk der Medien – wie sie interagieren – es gibt ein strukturelles Problem, welches Verzerrungen ermöglicht und sich dadurch Fehlinformationen verbreiten können.”
Wenn wir also das Fake News Problem “in Ordnung bringen” wollen, dann sollten wir diese Probleme in Angriff nehmen. Wenn Ania andere befragt, warum Fake News so eine große Sache geworden sind, dann bekommt sie oft die “einfachen Antworten”. Häufige Argumente, die sie hört, sind “Menschen sind dumm”, “Journalisten sind faul” und “die Medien wollen Klickzahlen”.
“Wenn sie wollen, dass wir das Problem in den Griff kriegen, dann wird gesagt, dass wir uns mit den Leuten zusammensetzen müssen und ihnen sagen müssen, dass sie falsch liegen. Aber das Ändern der Meinung von anderen ist eines der schwersten Dinge und wir sind nicht sehr gut darin. Menschen werden letztendlich glauben, was sie glauben wollen. Ich glaube nicht, dass das der Weg ist, um das Problem zu lösen. Aber wenn wir das Ganze von einem strukturellen Blick aus betrachten, denke ich, haben wir eine Chance zu verhindern, dass wissenschaftliche Informationen zu Falschinformationen werden.”
“Sowohl über wissenschaftliche als auch mediale Bildung zu verfügen, kann viel bewirken”, erklärte Ania. “Zu verstehen, wie das akademische Verlagswesen funktioniert, beispielsweise was ein Peer-Review ist, welche Journalisten eine zuverlässige Informationsquelle sind, wie man einen akademischen Artikel liest und zu verstehen, was eine Stichprobe ist. Wie die Wissenschaft arbeitet, warum Wissenschaftler nie etwas sagen, wenn sie nicht völlig davon überzeugt sind. All diese Dinge könnten viel bewirken, damit die allgemeine Öffentlichkeit besser zwischen Wahrheit und Fiktion unterscheiden kann.”
Es ist wichtig, wissenschaftliche Ergebnisse mit einem kritischen Auge zu lesen, sagt Ania. Aber es ist einfach, ein Kaninchenloch hinunterzufallen und alles anzuzweifeln. Es kann eine erschreckende Perspektive sein.
Wenn zwei Studien sich widersprechen, was soll ein zweifelnder Leser dann glauben? Wenn die Wissenschaft sich auf die Wahrheit nicht einigen kann, an was können Sie dann glauben? Hier spielt Bildung eine Rolle, sagt sie.
“Wir haben Angst vor dem, was wir nicht verstehen. Wenn Menschen die Wissenschaft nicht verstehen, dann gehen wir einige Jahrzehnte zurück zur anekdotischen Evidenz – wir vertrauen dann Dingen, die wir von Freunden hören mehr als dem wissenschaftlichen Konsens.”
Selbst wenn wir an die wissenschaftliche Genauigkeit glauben, kann das Checken von Fakten ein Albtraum für jeden Leser sein. Es ist genau genommen der Grund, warum Ania zu dem Bereich ihrer Forschung kam.
“Ich las etwas wie “Käse verursacht Krebs” und dachte mir: toll, wo sind die Belege? Ich klicke alle Verlinkungen an, um zu sehen, wo sie hinführen und sie verweisen auf andere Blogs. Oder manchmal gelangen sie tatsächlich zur Forschungsabhandlung, aber es befindet sich hinter einer Paywall und Sie können nicht darauf zugreifen”, sagt Ania. “Wenn sich der Inhalt hinter einer Paywall befindet, dann können Sie nur die Pressemitteilung lesen und die zielt darauf ab, dass die Informationen an die Öffentlichkeit verbreitet wird. Daher kann sie sehr vereinfacht oder sogar sensationell geschrieben sein.”
Wissenschaft und Gewissheit
Wenn man die Verbreitung der Information als Netzwerk darstellt, kann man sehen, wie es von Quelle zu Quelle springt und wie es sich über nicht-traditionelle Wege rasant verbreitet kann, wie etwa YouTube-Videos oder über Facebook Posts.
“Leute erhalten so viele Informationen von nicht-traditionellen Quellen. Wir haben immer noch die traditionellen Zeitungen wie The New York Times, aber viele beziehen ihre Nachrichten von Plattformen wie Instagram oder Snapchat.” Hier lacht Ania. Sie kann den Hype um Snapchat nicht verstehen. Gewissheit ist attraktiv, wenn wir nach Nachrichten und Informationen suchen und wahrscheinlich auch der Grund, warum “Fürze heilen Krebs” so eine ansprechende, anklickbare Headline ist.
Das Problem ist, dass die Wissenschaft auf dem Zweifel basiert.
“Wenn Sie Informationen verfolgen, können Sie sehen, dass, wenn diese von Wissenschaftlern an öffentlichere Medien weitergereicht wird, dass der Grad an Gewissheit sich in der Sprache stärker und stärker widerspiegelt. Wissenschaftliche Publikationen sagen “basierend auf diesen Restriktionen, ist das, was wir herausfanden, aber wir müssen dazu mehr Forschungen betreiben” und das verwandelt sich in “Fürze heilen Krebs.”
Ania sagt, dass Wissenschaftler nicht dazu ausgebildet sind, die Öffentlichkeit zu überzeugen – das ist nicht ihr Job. Aber das Ergebnis ist, dass die Stimme der wissenschaftlichen Community schwach wirken kann im Vergleich zu überzeugteren, aber weniger qualifizierten Stimmen, die wissenschaftliche Arbeiten abwerten.
“Wir benötigen mehr Wissenschaftler, die überzeugend genug klingen, um eine Stimme in der Debatte zu haben. Mehr Wissenschaftler treten nun in Podcasts und TV-Shows auf. Wir brauchen mehr davon und sie müssen lernen, wie sie die Menschen zurück auf die Seite der Wissenschaft ziehen können. Im Vergleich zu anderen lauten Meinungen da draußen machen sie keinen guten Job, die Menschen zu überzeugen, weil Wissenschaftler dafür nicht geschult sind.”
Im mangelnden Vertrauen in die Wissenschaft lauert eine große Gefahr, vor allem wenn man dabei an die Mythen rund um die Risiken von Impfungen denkt. Ania erklärt, dass es einen Mix aus Bildung rund um wissenschaftliche Vorgänge benötigt, sowie die Stärkung von wissenschaftlichen Stimmen. Damit kann das strukturelle Problem, dass zur Verbreitung von Fehlinformationen führt, bekämpft werden.
Vielen Dank an Ania, dass sie sich Zeit für uns genommen hat. Auf ihrer Webseite können Sie eine frei zugängliche Zusammenfassung von der oben vorgestellten Fallstudie lesen. Sie können die vollständige Forschungsabhandlung “The Spread and Mutation of Science Misinformation” hier lesen.
Ein besonderer Dank geht an Alex Jones für das Leiten dieses Interviews.