Wie man Social Media für sich nutzt, zeigen uns dieser Tage die Aktivisten, die sich für den Rückkauf des Berliner Stromnetzes einsetzen.

Am kommenden Sonntag gibt es in Berlin dazu einen Volksentscheid. Abstimmen sollen die Bürger darüber, ob sich Berlin die Stadtwerke und das Stromnetz zurückholen soll. Mitte der 90er waren die Werke an den schwedischen Energiekonzern Vattenfall verkauft worden, doch die Verträge laufen demnächst aus. Das geforderte berlineigene Stadtwerk würde sich ausschließlich aus erneuerbaren Energien speisen und demokratisch und transparent geführt werden.

Die politischen Organisationen, die sich zum Teil im Netzwerk #energietisch zusammen getan haben, rühren nun noch einmal sämtliche digitale und analoge Trommeln für ein „Ja“ zur Rekommunalisierung. 625.000 Berliner müssen dafür am Sonntag ihr Kreuzchen an der entsprechenden Stelle setzen, und das sind gar nicht so wenige.

Bereits im Februar ging das Projekt in die erste heiße Phase, in der 200.000 Berlinerinnen und Berliner dazu bewegt werden sollten, den Volksentscheid mitzutragen. So viele Unterschriften mussten bis 10. Juni 2013 gesammelt werden. Um das hehre Ziel zu erreichen, präsentierte der Berliner Energietisch Ende Februar sogar einen eigens komponierten Song „Wat(t) für Berlin“. Ohne über die musikalischen Qualitäten dieses Kampagnen-Songs urteilen zu wollen – es funkte erstmal nicht so richtig in den sozialen Netzwerken, nur wenige gaben die Neuigkeit an ihre digitalen Freunde weiter. Wesentlich besser hingegen funktionierte der knackige Slogan, mit dem die Kampagne überschrieben war: „Vattenfall den Stecker ziehen“ stand es auf großflächigen Plakaten und twitterte es seit Februar, verstärkt aber im Juni, durch den Äther.

Kurz bevor die magische 200.000 durchbrochen werden sollte, griff etwa Klaus Lederer, Landesvorsitzender der Partei Die Linke und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, den Slogan auf und zog eine muntere Twitter Schar mit sich. Sieben Mal forderte er von Mai bis Oktober zum Stecker-Ziehen auf und erreichte damit potentiell über 23.000 Follower. Die gesamte Kampagne wurde freilich auch von Offline-Aktivitäten getragen, die sich aber durch den Werbespruch hervorragend in die Online-Welt übersetzen ließen und mit 265.000 Unterschriften für das Volksbegehren zum Erfolg führte. Wie sehr die Schlüsselbegriffe der Kampagne im Vordergrund standen, zeigt auch die Topic-Cloud unseres Social Media Monitoring Tools:

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Die große Koalition in Berlin nutzte im Folgenden ihre politischen Mittel, die bei den Befürwortern des Volksentscheides misstrauisch beäugt wurden. Zunächst mal beschloss man, das Volksbegehren nicht am Tag der Bundestagswahl am 22. September durchzuführen, was dem Volksbegehren sicher eine regere Beteiligung beschert hätte. Anstelle dessen setzte man den 3. November fest.

Ende September dann zog man aus den Reihen der CDU und SPD einen Antrag zur Gründung eines Berliner Stadtwerkes hervor, der auf Dezember 2012 datierte. Offenbar außerhalb der Tagesordnung und ohne Einbeziehung des Hauptausschusses beschloss die Koalition einen Gesetzesentwurf mit zahlreichen Hintertürchen, der zumindest aus Sicht der Opposition hauptsächlich darauf zielte, den Befürwortern des Volksentscheides den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Mini-Stadtwerke“ wurde das Projekt von den politischen Gegenspielern gleich getauft, denn der dafür eingeplante Haushalt dünkte den Gegnern so geeignet zum Betreiben eines Stadtwerkes wie eine Knopfbatterie zum Anlassen eines LKWs.

Die Aktivisten reagierten darauf in medialer Hinsicht vorbildlich. Um das Volk über die strategischen Hintergründe des Gesetzesentwurfs aufzuklären, entwarf man ein so genanntes Explainity-Video, das in sehr einfachen, comicartigen Zeichnungen verbildlicht, warum das vom Senat angestrebte Stadtwerk mitnichten den Forderungen des Energietisches entspricht. Anders als der Kampagnen-Song wurde das Explainity-Video von campact sofort von der Twitter und Facebook-Gemeinde aufgegriffen und weitergereicht. Allein über Twitter erzielte die Aufforderung, sich das Video anzuschauen, bis heute weit über 80.000 Impressions. Über 27.000 Mal wurde das Video auf Youtube angeschaut.

Als das Abgeordnetenhaus dann den Vertragsentwurf für das auch als #Stadtwerkchen verschriene Projekt absegnete, donnerte es gewaltig aus den Twitterhallen: Die tweetende Gemeinde warf mit Zweifeln am Demokratieverständnis der Koalition und dem gefürchteten #fail nur so um sich. Am darauffolgenden Tag mehrten sich die Stimmen fürs „Stecker-Ziehen“ signifikant (siehe Chart unten).

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Auch wenn die Ergebnisse des Volksentscheides erst am kommenden Montag endgültig feststehen werden, kann die Kampagne des Energietisches bereits als Erfolg gewertet werden: Über 200.000 Berliner haben bisher Briefwahl beantragt.
Die Aktivisten setzen im Übrigen auch zum Ende der Kampagne hin auf zweigleisige Werbung (digital und analog): Gestern wurde die neue Facebook-App für den Volksentscheid bekannt gegeben. Nach Vorbild der Obama-App kann man hiermit seine Facebook Freunde zum Abstimmen motivieren.

Und wenn am Samstag ein Infoblatt an Ihrem Türgriff baumelt, das Sie zum Stecker-Ziehen auffordert, bitte nicht den Kühlschrank vom Netz nehmen, sondern am Sonntag ans Abstimmen denken.